Sari Pamer
Artikel

„Alle kennen das Problem, aber niemand macht etwas!“
Sari PamerWas kommt euch in den Sinn, wenn ihr an Fridays for Future denkt? Genau, Greta Thunberg! Im gleichnamigen Stück Greta von Suna Gürler wird das Publikum humorvoll zum Streiken aufgefordert.© Laura Rivas KaufmannDie Schauspieler:innen stürmen durch die Tür und rufen auf zum Klimastreik und die Zuschauer:innen sind von Beginn an mitten im Geschehen. Die Uraufführung von Greta fand in einem Klassenzimmer statt. Für die Inszenierung am Schauspielhaus Zürich wurde die Pfauen-Kammer in ein solches umgebaut. Das Publikum sitzt auf höhenverstellbaren Holzstühlen, jeweils zu zweit an einem Tisch – wie wir es eben aus der Schule kennen. Gespielt wird nicht nur vorne an der Tafel, sondern auf den Tischen und im ganzen Raum verteilt. Das Klassenzimmer wird zur Bühne. Also nichts wie raus und los zum Klimastreik? So einfach ist es dann leider doch nicht.Vor- und FeindbildDie junge schwedische Klim…

Netzwerk Freie Szene
Sari PamerWie etablieren sich junge Choreografinnen in der Freien Szene? Wie gründet man ein Theaterkollektiv und was hat das mit Tanz zu tun? Über solche Fragen hat INTRIGE Redakteurin Sari Pamer im Interview mit dem Kollektiv netzWERK gesprochen. © Juney HuberWie gründete sich euer Kollektiv? Wann und wo habt ihr euch getroffen?Martina: Wir studieren zusammen Theaterpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste. Durch die Pandemie gab es viele Restriktionen oder Fernunterricht. Bewegung und Tanz fanden nur noch zu Hause auf kleinstem Raum statt. Mit einem eigenen Projekt wollten wir die Möglichkeit schaffen, uns wieder mehr zu bewegen. Im Rahmen dessen entstand dann das Kollektiv. Zuerst vor allem aus pragmatischen Gründen, denn für die Anträge von Fördergeldern muss man ein Verein sein. Es zeigte sich jedoch, dass wir auch in Zukunft unbedingt miteinander als Kollektiv weiterarbeiten wolle…

Die Verwandlungen
Sari PamerBraucht es Musik, Kostüme oder ein Bühnenbild für ein Tanzstück? Ein klares Nein liefert die Jungchoreografin Clara Delorme mit ihrem Stück L’albâtre an den Swiss Dance Days 2022 in Basel.© Philippe WeissbrodtEin nackter weisser Körper auf weissem Tanzboden, der nur leicht pulsiert. Im leeren Raum herrscht fast völliger Stillstand, bis sich die Tänzerin nach einigen Minuten zu bewegen beginnt. Ihr Körper verwandelt sich zu einem scheuen Tier, dass das Publikum misstrauisch betrachtet, immer bereit zur Flucht. Wird später zur Skulptur einer ägyptischen Vase oder zur gesteuerten Marionette. Delorme spielt mit verschiedenen Assoziationen, transformiert ihren Körper nur durch Bewegungen auf beeindruckende Weise.Die Verwandlungen funktionieren über minimale Gesten und Bewegungen, indem die Tänzerin wie ein schreckhaftes Reh auf das Lachen im Publikum reagiert. In anderen Szenen ist der Körp…

Von Empowerment und enthemmter Energie
Sari PamerWas bewegt junge Menschen? Was macht sie wütend? Und wovor fürchten sie sich? Im Stück «born to shine» von Sebastian Nübling und Ives Thuwis-De Leeuw kommen diese jungen Menschen selbst zu Wort. Durch den Tanz drücken sie ihre Leidenschaften und Ängste berührend und verständlich aus.© junges theater baselUnkontrolliertes Zucken, scheinbar wahllose Bewegungen. Der verselbstständigte Körper einer jungen Frau schlägt sich von der einen auf die andere Seite. Sie versucht zwar gegen diese triebhaften Bewegungen anzukämpfen, ist ihnen jedoch völlig unterlegen. Ihr Körper gewinnt die Überhand, er bestimmt und lenkt die Bewegungen. Nach einem wilden Tanz liegt die Schauspielerin (Elif Karci) völlig erschöpft am Boden und über ein Handy ist ihre verzerrte Stimme zu hören. Sie erzählt von ihrer Angst zu tanzen, von der Angst im Mittelpunkt zu stehen, angeschaut zu werden. Doch sie ist stärker a…

Nur ein Versuch, aber ein eigenständiger
Sari PamerEine Frau zu Wort kommen lassen: In ihrem ersten Stück MEDEA von Edith Theateremulsion überzeugt die gleichnamige Protagonistin mit ihrer Geschichte. Sie selbst spricht und das ist ganz fantastisch.Was trieb Medea (Mélanie Carrel) dazu ihre beiden Kinder zu töten? Hierfür gibt es viele Versionen, aber nur eine Wahrheit: Mutterliebe. Es stand ihr zwar nicht zu über das Leben ihrer Kinder zu entscheiden, der Tod hätte nicht der einzige Ausweg sein dürfen. Es schien ihr der Beste zu sein, um ihre geliebten Söhne zu beschützen. Im Stück unter der Regie von Nora Steiner wird keineswegs versucht, den Mord an ihren eigenen Kindern zu entschuldigen; Medea steht zu ihrer Tat und trägt die Verantwortung dafür. Die Protagonistin handelt also weder aus Wahnsinn noch aus Rache, sondern aus reiner Liebe zu ihren Kindern. Die Szene des Beschriebs über den Tathergang wird mit Musik (Stefano Christen) u…

Verlangen! Aber nach was?
Sari PamerVerlangen nach Liebe, Verlangen nach Wasser, Verlangen nach Zärtlichkeit - kann dieses Verlangen denn nie gestillt werden? Unter der Leitung von Eva Kirchberg, Laura Imperiali und Jenni Arne entsteht das neue Stück FATAMORGANA des Jugendtheaterclubs U21 der Jungen Bühne Bern.© Silvia MoserEin neues Stück, aber altbekannte Muster: Die Bühne wird verdunkelt, Musik flutet den Raum und das Ensemble eilt ziellos über die Bühne. Die Unterbrüche der Szenen verlaufen bei FATAMORGANA nach dem etablierten Jungen-Bühne-Bern-Schema. Nicht nur die Szenenwechsel rufen Erinnerungen an vergangene Produktionen hervor, sondern auch die plakative Darstellung von Figuren findet nicht zum ersten Mal statt. An der Bushaltestelle beobachtet eine Frau einen kleinwüchsigen Mann, der auf einer Bank sitzt und auf seinen Bus wartet. Sie löchert ihn mit Fragen über seinen Kleinwuchs, ob er nicht viele Probleme habe…

Meta als Motiv?
Sari PamerWie beleuchtet man den Goethe-Klassiker Faust von einer anderen Seite? An dieses Experiment wagt sich das Theaterkollektiv Stugütak mit dem neuen Projekt FAUST unter der Regie von Jonin Herzig und Irvin Hostettler. Fremdtext und Metaebenen, so ihr Motto. Der Theaterabend enthält kaum Goethe, es wird hauptsächlich Fremdtext unter anderem von Deichkind, Sophokles und Jelinek gesprochen. Die Sammlung von verschiedenen Fremdtexten liefert nur bedingt einen roten Faden in der Inszenierung. Egal ob man die Originaltragödie Goethes kennt oder nicht, es bleibt eher beim Zuhören, als beim Verstehen.© Lara MorganLiveprojektionAuch für ihre neue Produktion dürfen Videoprojektionen (Leo Wittwer) nicht fehlen. Das Problem einer kleinen Bühne wird dadurch gekonnt umgangen und öffnet einen weiteren Spielraum. Schnelle Wechsel zwischen der leeren Bühne im Zuschauerraum und den Livevideoprojektionen si…

Wer ist da? Der Frosch!
Sari PamerVorurteile, Versprechen und Freundschaft: Im neuen Stück Froschkönig des Jungen Konzert Theater Bern taucht das Publikum ab in die Tiefen des Brunnens.© Konzert Theater BernWas darf auf keine Fall fehlen bei einer Froschkönig-Inszenierung? Genau, der Brunnen! Dieser bildet das Zentrum des Bühnenbildes (von Christos Samaras) am Konzert Theater Bern unter der Regie von Max Schaffenberger. Der Brunnen fasziniert das Mädchen (Taissia Mühlethaler), als auch das Publikum enorm - was wird da wohl drin sein?Der Königstocher ist langweilig. Ausserdem ist sie genervt, dass ihre Mutter und ihre Schwester einen Ausflug ohne sie unternommen haben. Dazu kommt ihr nörgelnden Vater (Silvan Müller), der jeden Tag Spaghetti kocht und kontrolliert, dass seine Tochter ihre Ämtli erledigt. Als sie raus geht, um sich zu entspannen, gelangt sie zum Brunnen und wirft einen Kieselstein hinein, um zu sehen wie …

Der Nächste, bitte!
Sari PamerWarten, warten, warten. In ihrem neuen Stück FÜNFTER SEIN zeigt die Junge Bühne Bern wie unterhaltend Warten sein kann.Im Wartezimmer des Doktors geht es drunter und drüber: Piraten bekämpfen sich mit ihren Kanonen und Schiffen, ein Raumschiff fliegt zum Würstliplanet und Boxer bekämpfen sich im Ring. In ihrem neuen Stück befassen sich die Spielenden des U10-Clubs der Jungen Bühne Bern unter der Leitung von Eva Kirchberg, Vera Vanoni und Jenni Arne mit dem Motiv des Wartens und was gegen die Langweile während des Wartens gemacht werden kann. Inspiriert ist das Stück von dem gleichnamigen, mittlerweile sehr bekannten Gedicht von Ernst Jandl. Sein Gedicht fünfter sein erschien das erste Mal im September 1970 in seinem Lyrikband der künstliche baum, welcher bereits fünf Jahre später zu seinem Standardwerk gezählt wurde.Elf kranke Tiere sitzen im Wartezimmer und warten darauf, dass sie an…

Die Probleme der Welt mit Kinderaugen sehen
Sari PamerKlimaerwärmung, verhungerte Menschen und Mobbing: Im neuen Stück der Jungen Bühne Bern «Wirrwarr auf dem Olymp» wird trotz durchaus sehr ernster Thematik viel gelacht.© Silvia MoserEs herrscht totales Chaos auf dem Olymp! Die Göttin der Nacht fliegt mit ihrem klimaneutralen Flugzeug Nacht für Nacht um die Erde, der Gott Facebook ist dement und den Göttinnen der Witze und Scherzartikel sind die Ideen ausgegangen. Den Göttern und Göttinnen ist es einfach nur „längwilig“. Vor lauter Langeweile streiten sie sich nur noch, beschimpfen sich mit Fluchwörtern und verprügeln sich mit gefüllten schwarzen Abfallsäcken (auf der Bühne eingerichtet von Pascal Pompe). Die Szenen sind laut und chaotisch – nicht nur auf der Bühne, auch das Publikum sucht nach dem roten Faden der Geschichte. Blick auf die ErdeUm dieses Chaos auf dem Olymp zu ordnen, werfen die Göttinnen und Götter einen Blick auf die…

Jede Schicht eine andere Geschichte
Sari PamerWer bist du? Weisst du es jetzt? Mit solchen Fragen plagt sich Peer Gynt beim gleichnamigen Stück des U14-Clubs der Jungen Bühne Bern. Unter der Leitung von Bea Schild und Gian Joray lassen die Jugendlichen den skandinavischen Klassiker mit Musik und eigenen Textpassagen aufleben.© Silvia MoserPeer Gynt steckt in einer Krisensituation, er weiss nicht, wer er ist – ist er überhaupt sich selbst? Fragen, die sich vermutlich jeder selbst schon gestellt hat. Dabei schält er eine Zwiebel und Schicht für Schicht rekapituliert er sein Leben. Jede Zwiebelschale steht für ein Ereignis in Peers Leben. Er erinnert sich an die Hochzeit von Olaf und Ingrid, dass Ingrid Olaf nie heiraten wollte, sondern schon immer davon träumte mit Peer durchzubrennen. An den Wald mit der schönen Trollprinzessin, die einen Prinzen zum Heiraten suchte und Peer ihr diesen Wunsch erfüllte oder an die Geschichte, als die…

Die gute Laune nicht verlieren
Sari PamerBei FINSTERE ARIEN IN FINSTEREN ZEITEN von der Jungen Oper Basel ist alles dabei – egal, ob Musik, Schauspiel oder Tanz, die jungen Schauspieler*innen zeigen ihr Können in fast allen Disziplinen. Das Stück basiert grob auf den Handlungssträngen von Sartres Geschlossener Gesellschaft und der Musik aus Dido und Aeneas von Henry Purcell und ist anderweitig gespickt mit Texten von Falk Richter. Junge Oper Basel © Susanna DrescherAusgerüstet mit College-Jacken, Kopfhörern und Handy sehen die Darstellenden schon ganz schön cool aus. Doch diese Coolness wandelt sich schnell in Verzweiflung und Streit, wenn die Handys keinen Empfang mehr haben und der Akku immer weniger wird. Die Gruppe ist eingeschlossen in einem Raum, abgeschnitten von der Aussenwelt und kontrolliert durch den Kellner, an dem kein Weg vorbeiführt. Sie haben überhaupt keine Ahnung, warum sie eigentlich in diesem Raum sind. Na…

Das Spiel um Lüge oder Wahrheit
Sari Pamer© Silivia MoserWas passiert, wenn 19 auserwählte Menschen ein Spiel um Lüge oder Wahrheit spielen? Genau das zeigt sich in Christoph Hebings und Marcel Leemanns Stück BEDINGIGSLOSI EHRLECHKEIT mit der U16 Gruppe der Jungen Bühne Bern. Es beginnt mit einem „ig bi cool, sie isch dumm, ig bi krass“-Geflüster. Ehrliche Aussagen und das zu sagen, was man denkt ist aber genau nicht das Ziel des Games. Die Spielleitung übernimmt Alektra, eine Siri-Stimme, die über den Lautsprecher zu den Teilnehmer*innen spricht und ihnen Aufgaben erteilt. In Slumville, Syrienstadt oder Bünzlitown (Miniaturinseln) müssen die Schauspieler*innen eine von Alektra vorgegebene Szene spielen – dies bedingungslos ehrlich. Doch mit dieser Ehrlichkeit kann die Stimme aus dem Lautsprecher nichts anfangen, sie bevorzugt die Variante der Lügen und dadurch zum Ziel zu kommen. Die Szenen werden wiederholt und wie Alektra …