
"Ich bin da"
Tamea WissmannIm Foyer des Schlachthaustheaters in Bern wartet an diesem Abend ein durchschnittlich ungewöhnlich junges Theaterpublikum auf den Beginn der Vorstellung von mi vida en tránsito.Beim Betreten des Saals trifft das Publikum auf Savino Caruso und Elvio Avila, die sich auf der Bühne in lockerem Ton darüber unterhalten, dass es in Bern winterlich kalt ist, während die Temperaturen in Argentinien auf über 35 Grad klettern. Aber warum Argentinien? Elvio ist digital anwesend und steht eigentlich gerade in einem Zimmer, durch dessen Fenster die argentinische Sonne hereinfällt. Sein Bild wird im Berner Schlachthaus auf eine von zwei grossflächigen Leinwänden projiziert, die leicht angewinkelt auf der Bühne stehen. Zwischen den beiden Leinwänden spannt sich ein durchsichtiges schwarzes Tuch. © Ralph KuehneDigitale KörperlichkeitDie gesamte Vorstellung über sehen wir Elvio digital in einem Videoc…

Halb versuchen oder „Ich weiss nicht“: Männer zeigen Gefühle
Christina Gabriela GalliEin paar Trash-Songs, vier junge und ältere männliche Darsteller, aktuelle gesellschaftliche Themen und eine leicht unterhaltsame und verständliche Dramaturgie: ein Stück des Jungen Schauspielhauses über das Thema Männlichkeit.© Zoe AubryWährend eine Schulklasse nach der anderen Sitzplätze sucht, kreieren die auf der ganzen Bühne herunterhängenden roten Seile bewegende Schatten an den Wänden. Der Beginn des Stückes in der Regie von Suna Grüler kommt unkompliziert daher; da spaziert einer der an der hinteren Bühnenwand stehenden Darsteller im Federflügelkostüm auf das Publikum zu und beginnt uns im kolloquialen Stil direkt zu adressieren: Er ist der „Tearjerker“, ein gescheiterter ESC-Kandidat mit dem Song „My Heart Is Full of NA-NA-NA“, der sich in einer Reihe mit Céline Dion sieht.In dem Männerstück vom Autor Lucien Haug gibt es einmal den depressiven Vater, der im Pyjama dem Sohn ei…

Wenn alle einfach behaupten, dann funktioniert es
Tamea WissmannIn der alten Fabrikhalle der Eniwa in Aarau stehen die Jugendlichen der AG Theater Rämibühl Schulter an Schulter im Kreis. Sie halten sich an den Händen. Es ist nun an der Zeit, sich noch ein letztes Mal zu sammeln. In wenigen Minuten werden sich alle in ihre Kostüme werfen und noch einmal gemeinsam durchgehen, was sie in den vergangenen drei Tagen erarbeitet haben, bevor es ernst wird und sie das Ganze einem Publikum präsentieren werden. Das Aarauer Theaterfestival Fanfaluca bietet jedes Jahr drei Theatergruppen die Möglichkeit, während drei Tagen auf dem stillgelegten Fabrikgelände der Eniwa frei zu experimentieren. Während dieser sogenannten ‘Residenzen’ lassen sich die Gruppen von diesem Ort inspirieren, der auf einer Insel mitten in der Aare liegt. In den abschliessenden Showings präsentieren die Gruppen der Öffentlichkeit, woran sie während der drei Tage gearbeitet haben.Im Kreis …

«Entschuldigen Sie bitte, Sie kommen mir zu nahe»
Isabel Sulger BüelFreundlichkeit steht über, zwischen, vor und hinter Allem. Oder? «frisch und fründlich» lautet der Titel des Stücks vom Spielclub Baden, das am Jugendtanz- und -theaterfestival fanfaluca zum ersten Mal ausserhalb des Badener Theater im Kornhaus gezeigt wird. Sowie der Titel daherkommt, wird auch im Stück schnell klar, dass hier Platituden demontiert werden; dass das Freundliche, wie man es antrifft im Alltag, stets Abgründe, Lust und Zuneigungen – also das Mönschele – verdeckt.© Bettina DielZu Beginn des Stücks treten die Spielenden aus der Seitengasse auf und reihen sich vor dem Publikum auf. Sie tragen ein Lächeln im Gesicht, das so aufgesetzt wirkt wie ihre pastellfarbenen Anzüge. Der Auftritt in diesen Kostümen kondensiert bereits, was die Umgangsformen der Freundlichkeit mit uns tun: Sie normieren und gewähren gleichzeitig ein Mindestmass an persönlichem Ausdruck. Subtil machen si…
Was ist schon ein Schwan ohne Flügel?
Tamea WissmannIm Rahmen des Theaterfestivals Basel ist die südafrikanische Schauspielerin und Autorin Buhle Ngaba mit ihrer Solo-Performance Swan Song zu sehen. Darin erzählt eine Frau die Geschichte ihres Erwachsenwerdens mit ‘Schwanenflügeln’. Das Publikum reist mit ihr zurück in ihre Kindheit und erlebt Scham und kindliche Freude, aber auch Trauer über einen Körper, der von gängigen Schönheitsidealen abweicht.Als das Publikum den Aufführungsraum im Jungen Theater Basel betritt, steht die Protagonistin bereits auf der Bühne. Langeweile spricht aus ihrer Körpersprache, während sie beobachtet, wie das Publikum seine Plätze einnimmt. Ab und zu ein Winken oder ein kleines Lächeln. Bereits hier wird eingeführt, was sich durch das ganze Stück zieht: Auf der Bühne steht eine sehr kindliche Figur, die scheinbar zufällig mal hierhin, mal dorthin wandert, während sie, vollkommen ins Spiel versunken, nebenher…