Isabel Sulger Büel
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«Entschuldigen Sie bitte, Sie kommen mir zu nahe»
Isabel Sulger BüelFreundlichkeit steht über, zwischen, vor und hinter Allem. Oder? «frisch und fründlich» lautet der Titel des Stücks vom Spielclub Baden, das am Jugendtanz- und -theaterfestival fanfaluca zum ersten Mal ausserhalb des Badener Theater im Kornhaus gezeigt wird. Sowie der Titel daherkommt, wird auch im Stück schnell klar, dass hier Platituden demontiert werden; dass das Freundliche, wie man es antrifft im Alltag, stets Abgründe, Lust und Zuneigungen – also das Mönschele – verdeckt.© Bettina DielZu Beginn des Stücks treten die Spielenden aus der Seitengasse auf und reihen sich vor dem Publikum auf. Sie tragen ein Lächeln im Gesicht, das so aufgesetzt wirkt wie ihre pastellfarbenen Anzüge. Der Auftritt in diesen Kostümen kondensiert bereits, was die Umgangsformen der Freundlichkeit mit uns tun: Sie normieren und gewähren gleichzeitig ein Mindestmass an persönlichem Ausdruck. Subtil machen si…

Perspektive aufs eigene Leben
Isabel Sulger BüelIm Theaterstück ChaTraum verhandeln die Ü13 des Jugendtheaters Kerzers die Grenzen zwischen Realität und Fiktion gleich auf zwei Ebenen. Zum einen zwischen dem echten Leben und der virtuellen Kommunikation, Existenz oder Vermarktung auf den Sozialen Medien. Zum anderen zwischen der Realität und den eigenen Träumen. Dabei spielen die Traumatisierungen der Figuren eine entscheidende Rolle in Bezug darauf, was für Träume gewünscht und gelebt werden wollen.© Flo BrunnerHässliche schöne WeltDer Einstieg zeigt gleich die Gegensätzlichkeit zwischen dem weltverbessernden Hippie und dem pessimistischen Chef. Sie debattieren über die Schönheit und Grausamkeit der Welt. Ihre Perspektiven sind eindeutig gegensätzlich. Um seine innere Leere zu füllen, gründet der pessimistische Chef einen Chatraum, damit er am Leben von Benutzer:innen teilhaben kann. Wenn es sein muss auch auf illegale Weise. Der D…

Die coolste Disco von Bern
Isabel Sulger BüelIm Stück Blauer Flamingo wird die Nacht zum Tag. Die Aufführungszeit vergeht, wie im Flug, obwohl das Publikum eine ganze Disco Ära durchlebt. Von den Partygägner:innen bis zu den Personen mit Hausverbot und von Liebe bis Drogenkonsum wird alles was das Nachtleben zu bieten hat besprochen. In nur einer Stunde erörtert die Junge Bühne Bern die positiven und negativen Seiten der Disco.© Basil-BlankAussen vom ClubWie bei jeder guten Disco gibt es eine Eingangskontrolle. Diese sitzt neben der Tür und wechselt sich in Schichten ab. Jede Person, die den Eingang kontrolliert hat ihre amüsante Eigenheit, sie liest, spielt Rubixcube oder isst eine Karotte. Allerdings bewachen sie vor allem den Eingang zur coolsten Disco von Bern. Und nicht jeder wird hineingelassen. Die amüsanteste Szene betrifft zwei Jugendliche, die einmal dummerweise Bier über die Jukebox geleert haben. Diese ist dabei zerst…
Menschliches Chaos
Isabel Sulger BüelDas Stuthe räumt mit der Menschheit auf oder besser gesagt baut es die Menschheit ab. Der passende Titel des Theaterstücks verweist auf den Inhalt: Abraumhalde. Zwischen Paletten, Plastikfolie und Reclamheften, werden gnadenlos menschliche Werte verhandelt, kritisiert und explizit aufgedeckt. Zwischen Realität und FiktionDas Bühnenbild ist mit einem Stapel Paletten in der Mitte der Bühne, einer Leinwand dahinter und einem Schreibtisch rechts davon ausgestattet. Darum liegen durchsichtige Plastikfolien. Alle Darsteller:innen tragen weisse T-Shirts und dunkel Hosen. Um die Rollen zu verdeutlichen, tragen sie Gegenstände aus Goldfolie. Saladin einen riesigen Turban, Nathan eine Kette und Curd von Stauffen ein Schwert mit Gürtel. Das Bühnenkonzept ist relativ schlicht, dafür anpassungsfähig. Es wird während des Stücks vollständig umgebaut.Das aufreibende und faszinierende an der Inszenier…

Die Vielfältigkeit des Frauseins
Isabel Sulger BüelEs ist ein kunterbuntes Treiben im Theaterstück (B)locked, ein Treiben im Raum. Ein Treiben in einem geschlossenen Raum, aus dem die sechs Frauen erst nach zwei Tagen herauskommen. Auf animierende und berührende Weise zeigt dieses Treiben die facettenreiche Welt von unterschiedlichen Frauen auf.© Flo BrunnerMitten im Stück seinDas Konzept ist einfach genial. Das Publikum steht im Raum und kann sich setzen, muss aber nicht. Die Spielorte sind im ganzen Theaterraum verteilt. Im Zuschauerraum, auf der Bühne, oben auf der Estrade und hinter einem Vorhang. Das Publikum bewegt sich um die Spielorte herum. Das dynamische Spiel beginnt unerwartet. Plötzlich sind auffällige Personen im Raum, die das Publikum grüssen. Ich habe einen Moment gebraucht, um zu verstehen, dass dies die Protagonist:innen des Stücks sind.Sie grüssen vereinzelt Personen im Publikum, bevor sie zueinanderfinden und das S…

Jugendprobleme im Klassenzimmer
Isabel Sulger BüelÜber Jugendprobleme muss man Sprechen, aber eben nicht mit einer Erwachsenen Person, sondern mit Gleichaltrigen. Das findet Leslie und gründet BIG SISTER eine Organisation zur Jugendhilfe. BIG SISTER ist auch der Titel von neusten Stück des Jungen Theater Basels.© Junges Theater BaselDie Organisation BIG SISTERDie Organisation hat Leslie gegründet, weil wenn es niemand macht, dann eben sie. Nötig ist das, weil sich die Jungen nicht getrauen zu sagen, dass es ihnen schlecht geht. Dabei würden Jugendliche am Leistungsdruck versticken und eine Erschöpfungsdepression durchmachen, anstatt ihr erstes Mal zu erleben. Sie fühlten sich traurig, leer und allein. Ihr Begleiter Mati, sieht das ganz anders. Stört ihre Präsentation und hängt den starken Mann heraus. Ihm geht es gut, obwohl er vom Schulpsychologen Antidepressiva verschrieben bekommen hat. Ihm wurde eine emotionale Störung mit Phasen …

Galerie des Wahnsinns
Isabel Sulger BüelDas Unitheater Basel überrascht mit ihrem Stück Die Abweichungen, das von einer Putzfrau handelt, die Suizid begeht und dadurch ihre ehemaligen Klient:innen allmählich in den Wahnsinn treibt. Denn sie hat deren Wohnungen in Miniaturen nachgebaut. Das Stück handelt von den Reaktionen ihrer Klient:innen auf die Ausstellungsstücke und den Suizid.© Felix A. ErbHerr KeindelSechs, mit weissen Leintüchern bedeckte Säulen und ein Schrank hinten an der Wand stellen das Bühnenbild dar. Wir befinden uns in der Galerie Art.Gerecht und sehen die Exponate von Frau Jessen, die als Putzfrau arbeitete. Dabei sind die Exponate einfach zusammengefalteter Stoff, der zusammengeknüllt auf den Säulen liegt. Alles Weitere wird von den Darsteller:innen sehr präzise und genau vermittelt. Insbesondere die feinen Unterschiede in den Exponaten zu ihren Originalen wurde sehr anschaulich präsentiert. Eindrücklich er…

Tanzen macht das Leben leichter
Isabel Sulger BüelIn Ilona Kannewurfs Stück When You Move Like That steht Noemi in der Mitte der Bühne und tanzt zu Janet Jackson. Sie ist Teil einer Mini-Playback-Show, die durch Einkaufszentren tourt. Geübt hat sie mit ihrem Kindermädchen und Nachbarin Severin vor dem Fernseher im Wohnzimmer. Den Wettbewerb gewinnt zwar immer das Playback von Michael Jackson, aber dennoch tanzt Noemi nie Michael, sondern immer Janet: «mir mached wiiter, bis d’Janet gwünnt».© Milad AhmadvandDurch das Leben tanzenAuch nach der Mini-Playback-Show tanzt Noemi weiter. Sie geht ins Ballett, später in Clubs und zu jedem Lebensabschnitt tanzt sie dem Publikum eine passende Sequenzen vor. Das Tanz-Theater beginnt mit viel Witz und Humor und gibt einen Einblick in eine andere Welt. Dabei sind die unterschiedlichen Bewegungen, die Noemi vorspielt sehr genau und man kann sich vor dem inneren Auge ihren Bruder mit seinen Freunden …

Perfektes Zusammenspiel
Isabel Sulger BüelWie Statuen stehen Catol Teixeira und Pierre Piton auf der linken vorderen Ecke des weissen Tanzbodens. Sie widerstehen dem eintretenden Publikum und bleiben trotz der vorbeigehenden Personen ganz bei sich. Schon beim Betreten des Aufführungsraumes kann sich das Publikum auf das Stück vorbereiten, denn ihre körperliche Präsenz ist schon zu diesem Zeitpunkt eindeutig spürbar. Dabei ist die Art und Weise, wie beide ihre körperliche Starrheit aushalten und erhalten bewundernswert. Nur schon für diesen Anfang lohnt es sich Farwell Body von La PP schauen zu gehen. Sie haben es verdienterweise in die Final Selection der Swiss Dance Days 2022 geschafft.© Gregory_BatardonRhythmus in PerfektionDas Stück beginnt mit einem einzigen Trommelschlag und dem Blickwechsel von La PP zum Publikum. Ihre Präsenz haut mich aus der Stuhllehne, kerzengerade Sitze ich nun da. Ich muss dieses Stück in vollem Be…

Dreifache Sichtbarkeit
Isabel Sulger BüelDas Tanzhaus unterstützt als Nachwuchsplattform junge Tänzer:innen, die während drei Wochen ein Programm proben und danach in einer Werkstattpräsentation aufführen. Das Nachwuchsprogramm heisst SHOW-OFF und feierte am 1. Februar 2022 Premiere. Isabel Sulger Büel von INTRIGE war vor Ort.© Sari PamerAkrobatische GletscherschmelzeDas Stück fängt an und es geschieht erst einmal nichts. Eine Person mit weissem Ganzkörper-Turnanzug liegt auf einer grünen Campingmatte. Dann öffnet sie den Verschluss derselben und lässt die Luft raus. Ein «schschsch» ist zu hören und das Publikum lacht. Weiter geschieht – nichts. Auf einmal beginnt die Person auf der Matte zu sprechen. Wir im Publikum sollen es uns bequem machen, viel Raum einnehmen, so dass wir mehr Raum einnehmen als die Person neben uns. Das Gesprochene wirkt, wie wenn eine Yogalehrerin Instruktionen vermittelt. Im Kontext des Tanzstücks wi…

Eine erfahrungsreiche Freundschaft
Isabel Sulger BüelEin heftiger Wintersturm in einem Weckglas und Gesänge tobender Winde hallen durch den Theaterraum. Es muss kalt sein, denn die Darsteller:innen reiben sich die Hände und kuscheln sich aneinander. Kurz darauf nimmt Benno Muheim die Wolfmaske auf und kämpft als Wolf gegen den Wind an. Die Windböen drängen ihn jeweils zurück, doch wenn der Wind stiller wird, kämpft er sich vor. Der Wolf hat Hunger und sucht etwas zu Essen. Dann erscheint auf der rechten Bühnenseite ein Schaf. Es lebt geborgen mit seinen Freunden dem Hahn und dem Ochsen im Stall. Es kann wegen dem Sturm nicht schlafen, auch nicht als der Ochse ihm ein Schlaflied singt. Das Stück Ein Schaf fürs Leben von Hand im Glück fängt stürmisch an.© Hans SchneckenburgerWolf und Schaf gehen auf AbenteuerDer Wolf findet den Stall und sieht darin den Ochsen «ui», den Hahn «wäck» und das Schaf «Glück gha». Als der Wolf durch die Tür gu…

Magische Coming-of-Age-Party
Isabel Sulger BüelStell dir vor du bist 16 Jahre alt. Du hast soeben deine ersten neun Schuljahre abgeschlossen und räumst die Aula nach der Abschlussparty auf, die du verpasst hast. Du hast sie extra verpasst, weil deine Noten in der Schule schlecht sind. Sie sind aber nicht wirklich schlecht, sondern du hast sie dir schlecht geträumt. So geht es Samira. Nach dem Abschluss muss sie die Entscheidung treffen, ob sie ins Gymnasium geht oder ob sie eine Lehre macht. Der Tenor von Familie, Lehrerin und Freunden ist eindeutig, sie hat gute Noten, sie sollte ins Gymnasium gehen. Wenn da bloss nicht die Krise von Mama wäre, wenn Samira sich bloss frei genug fühlen würde, ihr eigenes Leben zu leben, statt ihrer Mutter helfen zu wollen.© junges theater baselZwischen Traum und WirklichkeitTemporeich und fulminant fängt das Theaterstück «Über Nacht» des Jungen Theater Basels an. Rhythmische Musik packt das Publiku…