Stell dir vor du bist 16 Jahre alt. Du hast soeben deine ersten neun Schuljahre abgeschlossen und räumst die Aula nach der Abschlussparty auf, die du verpasst hast. Du hast sie extra verpasst, weil deine Noten in der Schule schlecht sind. Sie sind aber nicht wirklich schlecht, sondern du hast sie dir schlecht geträumt. So geht es Samira. Nach dem Abschluss muss sie die Entscheidung treffen, ob sie ins Gymnasium geht oder ob sie eine Lehre macht. Der Tenor von Familie, Lehrerin und Freunden ist eindeutig, sie hat gute Noten, sie sollte ins Gymnasium gehen. Wenn da bloss nicht die Krise von Mama wäre, wenn Samira sich bloss frei genug fühlen würde, ihr eigenes Leben zu leben, statt ihrer Mutter helfen zu wollen.
Über Nacht Junges Theater Basel Intrige
© junges theater basel

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Temporeich und fulminant fängt das Theaterstück «Über Nacht» des Jungen Theater Basels an. Rhythmische Musik packt das Publikum, zusammen mit Samiras Ansprache für die Abschlussparty: «Liebe Mitschüler und Mitschülerinnen», wir die Zuschauer*innen sind gemeint. Aber dann löst sich Samiras Traum abrupt auf und sie steht in der Aula des Schulhauses und räumt diese auf. Sie wischt während dem ganzen Stück mit dem Besen die erst leere, dann volle Bühne sauber. In kurzer Folge erscheinen Ezra, ihr Schulschatz, der sich freut mit «Sam» weiterhin ins Gymnasium zu gehen. Dann kommt ihr Bruder, der sich beklagt, dass er nicht durch Samira von der Schule abgeholt wurde und wissen will, was mit Mama los ist. Da kommt Mama dazu, die gerade ihren Job verloren hat, und findet, dass Samira ihre magische Gabe einsetzen sollte, mit der sie ihre Träume wahr machen kann. Denn was immer Samira in einem Traum beim Aufwachen anfasst, nimmt sie in die Realität mit. Nur blöd, dass sie diese Gabe von ihrem Vater geerbt hat, der seine Familie einfach so verlassen hatte. Samira steht ihrer Gabe zwiegespalten gegenüber, weshalb sie diese auch nur halbpatzig anwenden kann.

Zwischen Alltag und Magie

Über Nacht ist ein Fest an das Erwachsen werden, das zwischen Traum und Wirklichkeit oszilliert. In dem mit glitzernden Girlanden tiefe Ängste wie «nie glücklich werden» oder «immer arm sein» verhandelt werden und diese für einen Moment wie ein Teppich der Angst auf der Bühne liegen. Ein Fest in dem Buchstaben aus Samiras träumen in die Wirklichkeit geholt werden, die dort für Liebesbriefe, grosse Träume, Sitzgelegenheiten und Stehschaukeln stehen. Ein Fest in dem Visitenkarten sowohl als Einladung auf ein Date wie auch als Konfetti funktionieren. Ein Fest in dem Tempo, Rhythmus und Wiederholungen den Takt bestimmen. Besonders erfrischend und beeindruckend sind die Darstellungen der Nebenfiguren die allesamt von zwei Darstellenden (Diego Cremonini und Elisabeth Schüepp) verkörpert werden. Die leicht übertriebenen körperlichen Eigenheiten ihrer Figuren, erinnern daran, wie Teenager das eigene Umfeld als etwas Fremdes wahrnehmen. Zu bewundern ist auch wie die Schauspilerin, Alizah Aridas die Bühne 80 Minuten lang mit ihrer Präsenz füllt. Feiern sie mit bei dieser lockeren Party, in der tiefe Themen von Teenagern beleuchtet werden. Feiern sie mit, weil die Party Spass macht.

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