Michelle Y. Zumstein
Artikel

Brief an dich
Michelle Y. ZumsteinHallo Theaterfreund*in,Wie geht es dir? Hast du die letzten paar Monate einigermassen gut überstanden?Erzähl doch mal, was lief in dieser Pause bei dir so?Ich bin gespannt, was du mir zu erzählen hast! Im Gegenzug will ich dir ein bisschen von meinem Sommer erzählen, denn wir haben schon lange nichts mehr voneinander gehört!Na ja, wo soll ich denn anfangen? Als der Lockdown (wenn man das in der Schweiz überhaupt so nennen konnte) kam, war das schon bisschen eine Bremse in meinem Leben. Ich habe zu diesem Zeitpunkt sicher fünf bis sechs Abende im Theater verbracht. Sass im Publikum, stand selber auf der Bühne oder versuchte meine eigenen Projekte zu erfüllen. Tagsüber habe ich gearbeitet, mal hier mal da. Dann war auf einmal Schluss. Digitales Theater entstand quasi über Nacht und plötzlich spielte sich mein Leben auf meinem Computerbildschirm ab. Ich gebe zu, ich habe mich anfangs ei…

Gespräche über Jugend und Selbstreflexion: Die POOL POSITION Gang
Michelle Y. ZumsteinSamuel und Michelle sprechen mit den drei Schauspieler*innen Flynn Jost, Tim Brügger und Rosa-Lin Meessen von POOL POSITION. Mit dabei auch Regieassistentin Anna Gerber. Ein Gespräch über die Jugend und wie man sich selbst reflektiert.Samuel: Erzählt mal, woher kommt ihr, wer seid ihr?Tim: Ich komme aus Basel. Gehe noch zur Schule, an der FMS in Basel mit Fachrichtung Theater und bin jetzt im letzten Jahr. Danach weiss ich noch nicht, was ich machen will.Flynn: Ich komme auch aus Basel und mache noch meine Matur am Gymnasium Kirschgarten.Rosa-Lin: Ich bin auch Baslerin und mache in acht Wochen meine Matur am Leonhard Gymnasium.Samuel: Wie lange macht ihr schon Theater?Tim: Erst seit 2018, damals habe ich bei einer Tanzproduktion WHAT WE ARE LOOKING FOR mitgemacht und danach habe ich noch einmal ein Kurs gemacht im jungen theater basel und wurde dann für POOL POSITION angefragt.Fly…

Von Heldinnen in unserer Zeit
Michelle Y. ZumsteinDas junge theater basel hat ein neues Stück! Und ich war schon da! UNTITLED [2020] von Henrike Iglesias macht mir zu Anfang ein bisschen Sorgen – muss ich zugeben. Ich will nicht, dass es ähnlich anfängt wie andere Stücke des jungen theater basels. Ich will was Neues, was Spritziges, was Innovatives und was, das mich zum Nachdenken bringt. Aber auch zum Lachen. Lachen ist wichtig.Das Stück beginnt mit allen sechs Schauspielerinnen auf der Bühne. Jede sitzt an einer anderen Stelle, in einer anderen Position. Alle schauen auf ihre Handys, man hört Tippgeräusche, Benachrichtigungsklingeln, Wecker, Youtube-Videos und alles was man sich sonst so anschaut auf diesen Smartphones. Da macht sich meine Sorge bemerkbar. Ich bin ein bisschen besorgt, dass es sich nun um den Medienkonsum der heutigen Jugend dreht. Was es im Endeffekt auch ein bisschen tut – aber eben nicht nur. Nach zehn Minuten sin…

HAMLETMASCHINE - Ein Erlebnisbericht
Michelle Y. ZumsteinIn Trauma, Krankheit, Liebe, Schmerz, Ekel, Abhängigkeit umkreisen sich zwei Figuren: Hamlet und Ophelia. Gefangen aneinander/miteinander im Herzen der Finsternis. Maschine.Ich lege Feuer an mein Gefängnis. Mein Gehirn ist eine Narbe. Nicht mehr sterben. Nicht mehr töten.Der Morgen findet nicht mehr statt.Heute will ich über ein Projekt berichten, bei dem ich selbst mitspiele. Moritz Lienhard, welcher im Sommer seinen Bachelor in Theaterwissenschaften und Germanistik abgeschlossen hat, versucht sich nun in der Kunstwelt aus und stellt das Projekt Hamletmaschine auf die Beine. HAMLETMASCHINE ist ein Text von Heiner Müller, welche sich an den Figuren Hamlet und Ophelia von Shakespeare’s HAMLET orientiert, jedoch eine völlig andere Handlung aufgreift.Hamlet, schwach und verletzt, erinnert sich an sein Leben zurück, erzählt von schweren Phasen seines Lebens aber auch von guten Erinnerung…

Die Freiheit ist eine Illusion
Michelle Y. ZumsteinZum ersten Mal habe ich Lust, ein Stück rückwärts aufzuschreiben. Nicht weil ich mich nicht mehr an den genauen Ablauf erinnere, sondern weil es mir ein passendes Stück zu sein scheint, dass man von hinten wahrscheinlich genau so gut nachvollziehen kann, wie wenn man es von vorne abspielt. Das Kollektiv Dionysos hat mich mit seinem Stück DU TEUFEL völlig aus den Socken gehauen. Und das meine ich ernst. Nicht nur ein bisschen ernst, sondern ganz ernst. Aber ich erzähle die Aufführung trotzdem von vorne, da es vielleicht zu kompliziert wird; denn es passiert ganz schön viel.Ich muss zugeben, ich bin immer nervös, wenn ich in eine andere Stadt fahre, um mir ein Stück anzusehen. Nervös davor, dass es mich vielleicht nicht so sehr berührt, wie ich es gerne hätte. Nervös, dass ich nichts davon mitnehmen kann. Oder zu viel. Katharsis. Phobos und Elos, oder? Aristoteles ging davon aus, dass man…

Von Kleptomanie und Elvis Presley
Michelle Y. ZumsteinWer mich kennt, weiss, dass ich kein Fan bin von Mundart auf der Bühne. Dieses Mal hat es mir jedoch nichts ausgemacht. Mein schönes Berndeutsch, ach, wie daheim ich mich gleich fühle - ich komme aus dem Kanton Bern, für die die es nicht wissen.Ich war an der Premiere des Stückes DR NEUROSE KAVALIER von der Jungen Bühne Thun, welche in der Alten Oele, ebenfalls in Thun, aufgeführt wurde. Ich wusste nicht wirklich, was mich erwartet, habe mich auch nicht allzu ausführlich über das Stück informiert. Ich wusste nur, dass es um Patient*innen einer psychiatrischen Therapie geht. Dementsprechend sieht auch die Bühne aus, lediglich eine Liege und ein grüner Therapieball befanden sich darauf. Den Ball kenne ich von meinen Zahnarztbesuchen, denn Zahnärzt*innen scheinen solche Bälle anstelle eines Bürostuhls zu benutzen. Darüber wundere ich mich bei jeder Behandlung wieder. Gut für den Rücken sch…

OPEN CALL - Festivalzeitschrift jungspund
Michelle Y. ZumsteinDIE IDEEDas jungspund Festival und die INTRIGE – Magazin für junges Theater wollen für die zweite Ausgabe des jungspund Festivals vom 27. Februar bis 7. März eine Festivalzeitschrift produzieren. Diese soll von Schüler*innen und Jugendlichen aus der Region St. Gallen geschrieben und von Redakteur*innen der INTRIGE angeleitet werden. Während dem Festival wird es ausserdem Workshops zum Thema Theaterkritik und Theaterschauen von professionellen Theaterkritiker*innen gebenDie Idee bisher sieht vor, dass drei kleinere Zeitschriften produziert werden – eine davor, eine während und eine zum Ende des Festivals. Die Ausgaben werden einen Umfang von sechs bis zehn Seiten haben und vor Ort im Theater St. Gallen gedruckt. DER INHALTInhaltlich werden die drei Ausgaben unterschiedliche Dinge beinhalten: Die Erste ist als Vorschau gedacht, die einen Überblick von aussen auf das Festivalprogramm gi…

Wer hat die schönste Plumpa im ganzen Dorf?
Michelle Y. ZumsteinDie Geschichte des Schellenursli mag wohl den meisten Kindern in der Schweiz ein Begriff sein. Meine Behauptung. Ich auf jeden Fall, kenne die Geschichte sehr gut und war darum einmal mehr glücklich darüber, mir die Kinderoper im Theater Basel ansehen zu dürfen.Schon beim ersten Blick auf das Bühnenbild wird mir warm ums Herz. Schon lange nicht mehr habe ich eine meiner Kindheitsgeschichten inszeniert gesehen und ich fühle mich gleich ein bisschen zurückversetzt. Auf der Bühne wird eine Art Heubühne geschaffen. Das Bühnenbild ist aber auch sehr neutral, da sich verschiedene Szenen an verschiedenen Orten abspielen und es immer zur Szene passt. Inmitten der Holzkisten und Planken befindet sich eine Tür, welches gleichzeitig das Zuhause von Onkel Gian darstellt, wie auch das Versteck des Winters. Da sich die Geschichte Ende Winter abspielt, liegt ein bisschen Kunstschnee herum, jedoch erin…

Klimawandel - Streikst du noch oder gehst du schon?
Michelle Y. ZumsteinDie grosse Bühne im Stadttheater Chur wurde heute kurzum zu einer kleinen umgebaut, damit die Junge Marie mit ihrem Stück «Heroes of the Overground», geschrieben von Lucien Haug, auftreten konnte. Ich bin schon im Voraus da und bekomme zusammen mit jungen Schauspieler*innen aus Davos eine Führung durch das Theater. Ich muss an dieser Stelle kurz anmerken, wie krass es immer wieder ist, zu sehen, wie viele Dinge eigentlich hinter der Bühne laufen, über die man sich als Zuschauer*in meistens wenig bis gar nicht Gedanken macht. Obwohl es jetzt im Theater Chur natürlich nicht so crazy ist wie zum Beispiel im Zchauspielhaus Sürich. Aber zurück zum Stück. Das Bühnenbild setzt sich aus Metallgestellen, Plastik und Holzbretter zusammen. Es sieht aus wie auf einer verlassenen Baustelle. Nach dem eine Menge Nebel auf die Bühne geblasen wird, treten drei Schauspieler*innen auf und stellen sich selb…

Leben auf dem Stumpfplaneten Erde – oder eben doch nicht
Michelle Y. ZumsteinIn Socken betrete ich die Turnhalle Tannegg in Baden. Ein Raum voller Turngeräte empfängt das Publikum und mich. Die Junge Marie führt heute ihr Stück ROSA UND BLANCA auf und ich schaue in lauter gespannte Gesichter. In der Mitte sitzt eine junge Frau, ganz in weiss gekleidet mit einer aufgemalten Fratze. Sie schreit die Zuschauer durch ein Megafon an und befiehlt ihnen, sich hinzusetzen. Man sitzt auf blauen Matten oder Bänken, inmitten des Spielraums. Eine glitzernde Frau tritt auf, von der schnell klar wird, dass sie die Mutter von Rosa und Blanca ist. Sie spricht darüber, wie gut es sich in der Zivilisation leben lässt, dass ihre Töchter einfach sture Teenager wären, die sich mal wieder in etwas verfangen haben. Ich weiss nicht wieso, aber ich habe erwartet, dass sich das Stück auf Mundart abspielen wird. Sie spricht jedoch in fliessendem Bühnenhochdeutsch, was mein klassisches Theat…

Die Voyeure Schweiz - schon dabei?
Michelle Y. ZumsteinTheater spielen, Theater schauen, über Theater diskutieren und über Theater schreiben. Etwa in dieser Reihenfolge verhält sich meine Beziehung mit dem Theater. Zum ersten Kontakt kam es in der Sekundarstufe, als uns ein Theaterkurs vorgeschlagen wurde. Ich wusste sofort, dass sowas etwas für mich sein könnte. So kam es, dass ich einen Kurs nach dem anderen machte und immer häufiger auf der Bühne stand. Jedoch merkte ich irgendwann, dass nur Theater spielen mir nicht ausgereicht hat und mein Interesse nicht ausgeschöpft hat. Ich begann, mich in mehrere Stücke reinzusetzen, mir immer mehr anzusehen und mir eine eigene Meinung zu verschiedenen Stücken zu bilden. Bald merkte ich aber, dass ich mich kaum mit anderen Leuten austauschen konnte, es aber allein nicht ganz so viel Spass machte.Dann zog ich nach Basel und erfuhr über eine Freundin von den Voyeuren.Die Voyeure gibt es in sieben Stä…

Tötet die Sterbenden nicht!
Michelle Y. ZumsteinDas Unitheater Basel stand heute (28.9, Samstag) mit ihrem Stück SOMMERGÄSTE von Maxim Gorki bereits zum zweiten Mal auf der Bühne. Aufgeführt wird in der Padelhalle im St. Johann, was eine spezielle und ziemlich interessante Location für ein Theater ist. Mir fällt schnell auf, dass die Schauspieler*innen alle schon an der Bar stehen, als würden sie selbst zu den Zuschauenden gehören. Jedoch passt es zum Thema, schliesslich handelt es sich ja um eine Party, an der der Sommer noch einmal so richtig gefeiert werden soll. Als es acht schlägt, meldet sich einer der Schauspieler und fordert die Zuschauer*innen auf, sich zur Bühne zu begeben. Es hat nicht viele Plätze, in der vordersten Reihe stehen mehrere Sofas, eines ist mit PRESSE angeschrieben und ich fühle mich gleich ein bisschen geehrt.© Unitheater BaselDie Padelhalle wurde zu einem gemütlichen Garten hergerichtet, in dem sogar ein kl…

uga uga – fanfaluca! Teil 2:
Michelle Y. Zumstein© Kalena LeoAm Donnerstagabend nehmen mich die Schauspieler*innen mit zu ihrem Improvisations-Workshop. Ich freue mich darüber, denn ich mag Improvisationstheater. Meiner Meinung nach spricht richtiges Talent aus einer Person, wenn sie in eine unbekannte Situation gesteckt wird. Talent spricht daraus, dass sich jemand in einer völlig arbiträren Situation sofort anpassen kann und die Zuschauer*innen glauben lassen kann, dass sie sich dabei völlig wohl fühlt, obwohl das vielleicht gar nicht der Fall ist. Es werden verschiedene Spiele gespielt und alle sind begeistert. Am Anfang etwas scheuer trauen sich noch nicht viele auf die Bühne. Dies ändert sich jedoch schnell und nach ein paar Spielen, vielen Lachern und gespielten Tränen, melden sich immer mehr Freiwillige. Mit einem erfüllten Gefühl geht es für mich nach dem Abend wieder zurück nach Basel, während die anderen in ihre Jugendherbe…

Bist du auch ein Troll?
Michelle Y. ZumsteinIch muss schmunzeln und merke, wie ich ein bisschen nostalgisch werde. Das junge theater basel hat für ihre Vorstellung DON’T FEED THE TROLL ein Klassenzimmer hergerichtet. Ich sitze auf den Stühlen, die sich drehen und verstellen lassen und meine eigene Schulzeit schleicht sich unbemerkt in meinen Kopf. Selbst die Wandtafel macht mich sentimental, sie fehlt mir. An der Universität ist alles nur noch elektronisch, alle sitzen hinter ihren Laptops und die meisten sind gar nicht mehr auf die Vorlesung konzentriert. Elektronik, Laptops, Social Media. Genau darum geht es in DON’T FEED THE TROLL. Drei junge Frauen stürmen das Klassenzimmer. Sie lesen Hasskommentare vor wie "Go kill yourself baby", "Normalerweise schlage ich ja keine Frauen, aber bei dir würde ich eine Ausnahme machen" und der auffälligste: "Ich weiss wär ihr sind, ich weiss wo ihr wohnet. Bald bekömmeter Bsuech und denn sind …

uga uga – fanfaluca! Teil 1:
Michelle Y. Zumstein© Kalena LeoSo schnell es gekommen ist, ist es auch schon wieder vorbei. Das sechste fanfaluca vibrierte, tanzte, lachte und weinte – und ich war mittendrin. Bereits an der Eröffnungsfeier wird mir klar: Diese Woche wird verrückt und laut, energiegeladen und spannend. Und nun sitze ich in meinem Garten, umgeben von nächtlicher Dunkelheit. Die einzigen Lichtquellen sind die Kerzen, welche meine drei Notizbücher bescheinen und natürlich der fluoreszierende Bildschirm meines Laptops. So ganz verarbeiten konnte ich all die Eindrücke noch nicht, und ich merke, wie es mir schwerfällt die passenden Worte zu finden. Am besten gehe ich das Ganze wahrscheinlich chronologisch an. Also: von vorne. Das junge theater basel macht mit ihrem Stück POOL POSITION den Anfang. Ich kenne das Stück bereits und denke mir, dass es schwierig wird für die anderen Gruppen mitzuhalten, denn POOL POSITION ist ein k…