Der gerade volljährig gewordene Linus und seine drei Jahre jüngere Schwester Cora treiben auf dem Meer. Sie suchen offensichtlich nach jemandem.
Das ist der Anfang von Pool Position vom jungen theater basel, dem Eröffnungsstück des diesjährigen Jugendtheaterfestivals fanfaluca in Aarau. Das Stück hatte im April in Basel Premiere und spielt nun wieder bis November in Basel und geht (hoffentlich) noch für länger auf Tour.

© junges theater basel
Wie sind die beiden Geschwister denn nun hierhin gekommen? Sie rekapitulieren und erzählen: Linus’ 18. Geburtstag vor einigen Tagen. Er schwimmt kopfüber im Pool, hat vielleicht gerade versucht, Suizid zu begehen. Seine drei Jahre jüngere Schwester Cora findet ihn, doch meint, dass man nicht von Party zu Rausch zu Party leben könne, sondern etwas machen solle mit den Chancen die sich einem in der Schweiz bieten. Sie will Geflüchteten helfen. Auch Linus kommt die Idee ganz recht, denn auf der Party ist leider der Steinway-Flügel falschen Freunden aus Bettingen, die Geburstag mit Suff verwechselt haben, zum Opfer gefallen. Die beiden Geschwister brechen also auf aus dem bürgerlich-elitären Basler Wohlstandsquartier Bruderholz – mit solchen Basel-Insidern ist übrigens das ganze Stück gespickt – in Richtung Sizilien, um zu helfen. Unnötig zu sagen: Die Reise verläuft nicht ganz nach Plan. Nach drei Tagen Hilfsarbeit in einem Geflüchtetenzentrum in Mailand, mehreren, ungewollten Begegnungen mit der Polizei und den Schwierigkeiten einer Geschwisterbeziehung erreichen Linus und Cora schliesslich das Haus ihrer Eltern auf Sizilien. Selbstverständlich mit Pool und Blick aufs Mittelmeer. Dort treffen sie allerdings auf den Ex-Basler Messi (von Beginn an das Geschehen stiller und szenisch kommentierender Deus ex machina), Tänzer, Koch und noch vieles mehr, was eigentlich gar nicht stimmt. Zunächst verliebt sich Linus in Messi und umgekehrt, dann zieht Cora nach. Die Geschwister haben ihren Plan, Geflüchtete auf dem Mittelmeer zu retten und das Haus ihrer Eltern als «Basis» zu benutzen eigentlich schon abgeschrieben. Da zieht Messi jedoch nach einigem Techtelmechtel (vom gut gelaunten Festivalpublikum amüsant kommentiert) auf einem Flamingoschwimmreifen aufs Meer.

Die grossen Fragen des Lebens

Während der Reise merken nicht nur Cora und Linus, wie enorm privilegiert es sich in der Schweiz leben lässt. Uns im Publikum wird vorgeführt, wie bevorzugt wir leben. Das Stück ist aber nie eine Moralpredigt, es verliert nie den Humor. Es zeigt vor, dass keineswegs nur Altruismus der Grund ist, warum die beiden die Reise unternehmen. Die Aufregung Coras darüber, als Egoistin bezeichnet zu werden, ist verständlich. Genauso verständlich ist aber auch die Bezeichnung an sich. Denn «helfen» zu wollen ist zwar schön und gut, aber oftmals nur für das eigene Besserfühlen da. Und wenn sie sich am Ende des Stücks auf dem Meer wiederfinden, suchen sie nicht nach Geflüchteten, sondern eben nach Messi. Damit tappen sie in die gleiche Falle wie viele andere: Die vermeintlich eigenen werden zuerst gerettet.
Suna Gürler inszeniert den von Lucien Haug extra für die Spielenden des jungen theater basel geschriebenen Text in einem schon lange leerstehenden Pool. Das Geschwisterpaar Rosa-Lin Meessen und Flynn Jost sowie die Scheinperson Tim Brügger bespielen diesen mit unglaublicher Energie und Spieldrang. Dabei widmen sie dem Thema ebenso die gebührende Ruhe und Nachdenklichkeit, wie umso beeindruckendere Tänze und Emotionsausbrüche.

© junges theater basel

Pool Position wirft die wirklich wichtigen Fragen auf, die sich wir junge Menschen stellen. Was tun mit dem Leben, das bevor steht. Wie sich positionieren zwischen Reichtum und Privilegien in Mittel-Nord-Europa und flüchtenden Menschen im Rest der Welt. Diese Botschaft ist im Publikum angekommen. Es folgt stehender, langer, verdienter Applaus.
Ich höre mich unter den Zuschauer*innen nach dem Stück um. Mir erzählen viele, dass sie genau dasselbe empfinden, wie in Pool Position angesprochen wird. Hier zwei Zitate.

"Ich meinte immer, ich sei mir meiner Privilegien eigentlich bewusst. Aber längst nicht in dem Umfang." "Es ist schon krass, ich war in den letzten Ferien selbst in Mailand, auch am Bahnhof. Sie reden über genau die Sachen, die auch mir da durch den Kopf gehen."

Weiterlesen…

Isabel Sulger Büel

Sari Pamer

Sari Pamer
Kommentare unterstützt von Disqus.