WÜSTE, WIND, WOHIN. Worte wie diese prangen in weissen Lettern angebeamt an eine Wand im jungen theater basel. Sieben junge Darsteller*innen aus Berlin und Basel powern dazu zu wummernden Bässen. Da hinein brüllen sie meistens im Chor Texte, die beinahe untergehen. «Du bist nicht eingeladen auf die Party der Unterbemittelten!» beispielsweise. Es geht viel um «Wir», um sich radikalisierende Jugendliche und die Möglichkeiten sich Gehör zu verschaffen, wenn Miteinander-Reden keine Möglichkeit mehr ist. Zu all diesen Dingen später mehr.
ZUCKEN heisst das Stück der Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann, das jetzt noch vier letzte Male im jungen theater basel gezeigt wird. Die Uraufführung von Sebastian Nübling war bereits im März 2017 im koproduzierenden Maxim Gorki Theater in Berlin.

Schwarze Kunstledersofas, iPhones und Piano Tiles

Die sieben Spielenden sitzen auf vier knarrenden, schwarzen Kunstledersofas. Sie spielen auf ihren iPhones, an die sie per Nabelschnur (hier auch das Verstärkerkabel) gekettet sind, Piano Tiles. Bis es zum ersten Bruch kommt und einer den ersten Beat anmacht. Die Spielenden – oder eher Performer*innen – lassen die stampfende Musik in sich fahren, werden von Maschinengewehrsalven zerschossen und werfen sich in immer wieder gegen die schwarzen Kunstledersofas, die einfach nicht kaputt gehen wollen.
© junges theater basel

Bruch. Auf in die erste, zugegeben clevere Geschichte. Irgendein junges Mädchen chattet irgendwo im spätkapitalistischen Europa mit einem vermeintlichen Gotteskrieger. Sie mag ihn, denn er schickt ihr gute Musik («Allah ist gross» und so weiter) und antwortet immer mit klaren Antworten – «Ja» oder «Nein». Sie will sich mit ihm treffen und er meint, es sei noch zu früh. Das Publikum wird an der Nase herumgeführt und der Begriff des «Dschihad» intelligent aus dem vorurteilhaften Blick genommen. Er muss sie ja gar nicht radikalisieren. Das pubertierende Mädchen will unbedingt zu ihm fahren in den Krieg, ganz von sich aus. Ihre Mutter (stellvertretend für das System) hält sie davon ab, das Mädchen ist frustiert und will sie am liebsten umbringen.
Ende der Geschichte: Das Mädchen geht in ihrer Frustration mit Messern bewaffnet in einen Bahnhof und sticht jemanden ab. Bevor es dazu kommen kann, schreitet einer der Spielenden ein. Aufnahme beendet, «viel zu unterkomplex» sei das, der Bart des Mannes viel zu klischeehaft, man müsse das nochmals drehen.
Es folgt wieder ein Bruch. Wieder wummwummwumm und physisch-choreographische Meisterleistungen der Spielenden.

© junges theater basel

Nun geht es um Pawlik, einen jungen Ukrainer, der gerade mit Joint seine Homosexualität entdeckt und sein nationalistischer Vater, der ihn unter Druck setzt. «Bist Du Russe oder Ukrainer? Russe oder Ukrainer? Russe oder Ukrainer?» Hals über Kopf entscheidet er sich für die «Freie Volksrepublik Donezk» in den Kampf zu ziehen.
In der nächsten Szene sehen wir eine junge Frau (möglicherweise die selbe wie zu Beginn), die ein szenisch sehr beeindruckendes Video an ihren Vater schickt. Auch sie weiss sich nicht mehr zu helfen – und kämpft deshalb in einer Frauendivision in Kurdistan.

© junges theater basel

Wieso nun genau diese beiden Beispiele gleichgesetzt wurden, wobei sie unterschiedlicher nicht sein könnten – der eine ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg und der andere ein tatsächlicher Befreiungskampf – bleibt leider unklar. Auch wenn das hoffentlich nicht das politische Urteil sein sollte, reisst dieser unsensible Umgang mit internationalen Konfliktssituationen ein Loch in den sonst so hochkonzentrierten Text.

Die Exexexexexekutive

«Deine Götter sind die Judikative, die Legislative und die Exexexexexekutive. Und natürlich die Medien.» schleudern sie dem Publikum entgegen. Wir brauchen keinen Dialog mehr, wir wollen kein ewiges Warten auf die langsamen Mühlen der demokratischen Gesellschaft. Wir warten nicht mehr, wir handeln. Miteinander reden, anstelle direkt radikal werden? Eine Wunschfantasie der Wohlstandsgesellschaft West – und solche funktionieren bekanntlich nicht. Zumindest nicht für diese Jugend.
Diese Botschaft hämmern die sieben Spielenden dem Publikum mit Chören und allen möglichen, virtuosen Parkour-Techniken ein.

© junges theater basel

Irgendwann kommt es zu einem Boxkampf, bei welchem die Sofas auseinandergenommen werden – ganz kaputt gehen können sie aber nicht. Ein Sinnbild dafür, dass auch das Ausdrücken mit Gewalt keine Lösung bringen kann?
Das merken diese Spielenden aber nicht mehr. Am Schluss trennen sie das nabelschnurartige Kabel von ihren Handys. Sie sind nicht mehr erreichbar. Disconnected.

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Isabel Sulger Büel

Michelle Y. Zumstein

Isabel Sulger Büel
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