Von einer roten Rose zu vielen Topfpflanzen: Wann wird das «Danke» zum «Nein, danke»? 5 junge Menschen fragen sich und uns im Rahmen vom augenauf! das Festival 2022 in Winterthur, was Liebe ist. Wir lernen, dass Verliebtsein nur Hormone sind oder ein Tanz ohne Form. Das Stück Oh Romeo!? vom Jungen Theater Marie stellt die Frage danach, ob sie mich oder dich liebt und ob ein unterbrochenes Telefonat oder Sex ein Missverständnis im Dunkeln sind.
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© Ahmad Örnek

Liebe aller Art

Standard-Wörter über das Themenfeld Liebe flimmern über einen Bildschirm oberhalb der Bühne: Verliebtheit, Flirten, Scheidung, Lovesongs, Herzschmerz. Sie wechseln schnell und geben jeweils den Einstieg in die nächste Szene. Wir befinden uns auf der Foyerbühne vom Theater Winterthur, wo das Theater Junge Marie sein Stück Oh Romeo!? zeigt, wobei Romeo durchgestrichen wird: die allgemein bekannte Geschichte von Shakespeare wird am Rande erwähnt und im Schnellverfahren durchgespielt. Denn die jungen Menschen auf der Bühne leben nicht nur heterosexuelle, monogame Beziehungen, sondern auch solche zu ihrem Bruder, zu den Menschen in der ersten Reihe des Publikums, zum Meerschweinchen, zu Eltern und Freund:innen. So stimmt dann auch ein:e Spieler:in nach einigen schief gesungenen «Lovesongs» ein Lied an die Freundschaft an. Es geht ums Fahrradfahren ohne Ziel, ums Zusammensein ohne Erwartung, ums Teilen im Schweigen und immer mehr zeichnet sich ein skizziertes Bild von dem ab, was Liebe alles sein kann, könnte, sein wird: komplex, vielfältig, flächig.
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© Ahmad Örnek

Heirat und Homo-Ehe

Es wird zu fünft in einem weissen Tuch geheiratet und dabei an die nationale Abstimmung der Homo-Ehe gedacht, welche immer noch keine Gleichberechtigung auf Gesetzesebene für nicht-heterosexuelle Paare brachte. Alle singen leicht schief «so naturaaaal»; die Form zeigt die Fragwürdigkeit der Grenze zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit auf. Dann wiederum ist nur eine Person auf der Bühne und tanzt wie wild, schaltet die Rauchmaschine mehrmals an und bittet den Lichttechniker nach farbigem Licht. Manchmal wird das Publikum direkt angesprochen, uns die Liebe versprochen, mit uns geflirtet oder viele Fragen gestellt: Wann weiss ich es? Wie weiss ich es? Oder braucht es einfach neue Wörter? Ein Musiker mit verschiedenen elektronischen Instrumenten begleitet und interagiert mit den Spieler:innen auf der Bühne; da wird gebeatboxt, gesungen, gesummt oder mitgejohlt. Krisen werden verkörpert und Konsens wird ausgehandelt; romantisch sind hier nicht Bilder von Illusionen, sondern die Auseinandersetzung mit sich selbst oder den anderen oder direkt im szenischen Rahmen. Technische Abläufe werden wie im postdramatischen Theater üblich ausgestellt und die Spieler:innen stellen wenn möglich direkten Kontakt zum Publikum her.
Die Jugendlichen im Publikum scheinen konzentriert und fühlen sich angesprochen, kichern im Dunkeln, wenn zwei Stimmen kurz vor dem Sex über ihre Beziehung sprechen, oder tuscheln nervös, wenn ein:e Spieler:in einzelne Personen direkt anflirtet, um die Liebe auf den ersten Blick auszuprobieren. Der Abend mit den «Jungen Marie»-Spieler:innen ist kurzweilig, aktuell und hat eine Botschaft: Wir brauchen neue Wörter, um all das zu beschreiben, was Liebe ist, denn Liebe ist plural. «So natural» ist hier höchstens die Lust, sich zusammen im Ausprobieren zu versuchen.

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© Ahmad Örnek

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