Dunkelheit, düstere Musik. Rechts liegt ein Strick auf dem Boden wie eine dunkle Vorahnung. Ophelia, um deren Arm ein Verband gewickelt ist, schiebt Hamlet in einem Rollstuhl auf die Bühne. Sein Tanktop ist auf der Brust mit einer schwarzen Substanz beschmiert, die wie Russ aussieht. Aus einem Fläschchen nimmt Ophelia Pillen, die sie Hamlet zum Frass vorwirft.

So lässt Moritz Lienhard seine Inszenierung von Heiner Müllers HAMLETMASCHINE beginnen, das vor dem Hintergrund des Kalten Krieges entstanden ist und in dem Müller die zwiegespaltene Situation des Intellektuellen in der DDR thematisiert. Es ist ein rätselhaftes Stück, das verstört und provoziert. Die Sprache ist unzusammenhängend, vieldeutig und brutal. Ich kann nur ahnen, welche dunklen Ereignisse zuzeiten des Kalten Krieges und des geteilten Deutschlands eine solch dunkle Sprache und Ästhetik hervorbrachten. Ebenso wie die Sprache verstören auch die Bilder, die Lienhard entstehen lässt: Ophelia knüpft mit regloser Miene einen Galgenstrick und legt ihn sich um den Hals, während sie sagt: «Ich bin Ophelia. Die der Fluss nicht behalten hat. Die Frau am Strick. Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern. Die Frau mit der Überdosis. Auf den Lippen Schnee. Die Frau mit dem Kopf im Gasherd.» Auch die Szene, in der beide von Blitzlichtern beleuchtet zuckende Bewegungen machen bis sie reglos am Boden liegen bleiben bleibt in Erinnerung. Es entsteht eine beklemmende Stimmung im «SAFE Unternehmen Mitte», wie der Basler Aufführungsort heisst. Die Stimmung wird mithilfe von Musik und Licht konstant aufrechterhalten und findet in den Schlussszenen ihren Höhepunkt.

Die politischen und mythologischen Andeutungen, mit denen Heiner Müllers Text gespickt sind, bleiben mir oft schleierhaft. Doch mit seiner Inszenierung schafft Moritz Lienhard es, dass ich mich betroffen fühle und dass mir die schmerzhaften Sprachbilder («Meine Gedanken sind Wunden in meinem Gehirn. Mein Gehirn ist eine Narbe») unter die Haut gehen. Das Stück lebt von der bedrückenden Atmosphäre und entfaltet auch ohne grosses kontextuelles Vorwissen seine Wirkung. So höre ich beim Zuschauen bald auf, mit Interpretationen einen Zugang zum Stück zu suchen. Denn der «Riss zwischen zwei Epochen», in dem Hamlet laut Heiner Müller untergeht, wird zu etwas allgemein Menschlichem. Es ist eine Zerrissenheit zwischen Leben und Tod, Täter und Opfer, Befreiung und Unterdrückung, Widerstand und Ohnmacht. Hamlet ist zwischen Schauspieler und Rolle, Mensch und Maschine hin- und hergerissen. Er steht zwischen den Fronten, kämpft, leidet, scheitert. Und wie er selbst kann auch das Publikum nur ohnmächtig seinem Schicksal zusehen.

Die unheilvolle und finstere Stimmung wird besonders durch das Zusammenspiel der beiden Schauspieler*innen erreicht, die in einem paradoxen Wechsel zwischen Liebkosung und Gewalt, Anziehung und Abstossung eine spannungsgeladene Dynamik entwickeln. Es fasziniert mich, wie sehr die beiden aufeinander abgestimmt sind. Trotz gefühllosem Gesichtsausdruck und monotoner Stimme schaffen sie es, sich widerstreitende Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Dadurch lassen sie das Publikum spüren, in was für einem grausamen Kampf ihre Maschinenherzen gefangen sind.

Oft wird gesagt, dass Shakespeares Hamlet hinter seinem vorgetäuschten Wahnsinn den echten Wahnsinn der Tyrannei und der Welt entlarvt. Solch einen Moment gibt es auch in Lienhards HAMLETMASCHINE: Hamlet und Ophelia stehen in einer Szene an der Wand, auf die in schneller Abfolge zusammenhangslose Bilder aus dem Weltgeschehen projiziert werden. Die Bilderflut zieht über die Gesichter der beiden, die nur reg- und machtlos dastehen und der Welt in all ihrer Absurdität und Wahnsinnigkeit nichts entgegensetzen können.
Auch wenn es keine leichte Kost ist, die uns Lienhard hier präsentiert, ist das Stück sehr sehenswert. Und womöglich eine der wenigen Theaterinszenierungen und kulturellen Veranstaltungen überhaupt, die in Zeiten von Corona noch stattfinden können. So gewinnt HAMLETMASCHINE, in der uns eine Welt voller Wahnsinn und Untergangsstimmung gezeigt wird, eine unheimliche Aktualität.

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Isabel Sulger Büel

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