Joshua Jäggi
Artikel

Menschen mit Maschinenherzen
Joshua JäggiDunkelheit, düstere Musik. Rechts liegt ein Strick auf dem Boden wie eine dunkle Vorahnung. Ophelia, um deren Arm ein Verband gewickelt ist, schiebt Hamlet in einem Rollstuhl auf die Bühne. Sein Tanktop ist auf der Brust mit einer schwarzen Substanz beschmiert, die wie Russ aussieht. Aus einem Fläschchen nimmt Ophelia Pillen, die sie Hamlet zum Frass vorwirft. So lässt Moritz Lienhard seine Inszenierung von Heiner Müllers HAMLETMASCHINE beginnen, das vor dem Hintergrund des Kalten Krieges entstanden ist und in dem Müller die zwiegespaltene Situation des Intellektuellen in der DDR thematisiert. Es ist ein rätselhaftes Stück, das verstört und provoziert. Die Sprache ist unzusammenhängend, vieldeutig und brutal. Ich kann nur ahnen, welche dunklen Ereignisse zuzeiten des Kalten Krieges und des geteilten Deutschlands eine solch dunkle Sprache und Ästhetik hervorbrachten. Ebenso wie die Spra…

Seine eigene Geschichte schreiben
Joshua JäggiIn der Schaffhauser Altstadt gelange ich über eine schmale Wendeltreppe hinunter ins sonnige Palermo der 60er Jahre. Natürlich nicht wirklich, aber dank dem Stück ADDIO PALERMO entfliehe ich für 50 Minuten der winterlichen Schweiz und schwelge in der sizilianischen Sonne und dem Geräusch des Meeres. Denn der jugendclub momoll theater, der seit 1994 professionelle Inszenierungen mit Jugendlichen erarbeitet, nimmt die Zuschauer*innen mit auf eine Reise quer durch Sizilien. Es handelt sich dabei um eine Wiederaufnahme des von Xenia Ritzmann geschriebenen Stückes, das im November erstmals aufgeführt wurde und nun im Februar und März nochmals zu sehen ist.Wir begleiten drei Puppenspielerinnen, die auf der holpernden Ladefläche eines LKWs über die Insel ziehen, um ihre Familientradition des Puppenspielens auf Marktplätzen kleiner Dörfer und schillernder Städte fortzuführen. Gefahren werden si…

Das Recht auf Liebe
Joshua Jäggi© Verein Fokus LebenAls ich in den Salon der Markthalle Basel trete, sind fast alle Publikumsplätze schon besetzt. Der Raum ist hell erleuchtet und es ist warm. Erst nachdem ich mir den Weg zu meinem Platz gebahnt habe, fällt mein Blick nach vorne. Drei junge Patient*innen liegen dort mit geschlossenen Augen in Krankenbetten, an denen Infusionsbeutel befestigt sind. Das heitere Geschnatter im Raum kontrastiert mit der kühlen Krankenhausatmosphäre, die sich sofort bei mir einstellt. «Die haben ja schon angefangen», raunt mir die Frau neben mir zu und reckt den Hals, um besser nach vorne sehen zu können Dann erlöscht das Saallicht und ein junger Mann im Rollstuhl fährt auf die Bühne. Mit einem schelmischen Lächeln begrüsst er das Publikum und kündigt das Stück an, das von «Krankheit, Leben und Liebe» handle. Er bittet uns zum Schluss, nichts auf die Bühne zu werfen, was einige Lacher ernt…

Am stärksten ist der, der ganz alleine dasteht
Joshua JäggiBasel SBB – Zürich Hauptbahnhof. Rushhour. Ich quetsche mich auf einen der letzten freien Sitze, es herrscht lautes Stimmengewirr. Regen klatscht an die Fensterscheiben. Ich bin auf dem Weg nach Zug, um mir das Stück EIN VOLKSFEIND anzusehen, das das Kinder- und Jugendtheater Zug auf die Bühne bringt. Während der Fahrt mache ich mich ein wenig schlau über das Stück. Denn viel mehr als ein alter Mann mit voluminösem Backenpart – Henrik Ibsen – fällt mir dazu nicht ein. Ich finde heraus, dass es ein gesellschaftskritisches Stück über Wahrheit, Freiheit und Mehrheit ist. Grosse Themen also, denen sich das Kinder- und Jugendtheater Zug annimmt. Gespannt auf ihre Umsetzung lehne ich mich im Sitz zurück und döse ein, der gigantische Backenbart Ibsens immer noch vor Augen.Nach eineinhalb Stunden Fahrt sitze ich endlich im dritten Untergeschoss des Einkaufszentrums Metalli und warte bis die Ins…

Let's Shake's Bier!
Joshua JäggiShakespeare – alle kennen ihn, diesen Heiligen der Theatergeschichte. Nur schon beim Klang seines Namens kommen Theater-und Literaturwissenschaftler*innen ins Schwärmen, andere aber erinnern sich düster an mühselige Stunden der Pflichtlektüre oder an gescheiterte Schultheatervorstellungen.Fakt ist: Mit einem Gesamtwerk von 38 Dramen und Versdichtungen, sowie 154 Sonetten gilt Shakespeare bis heute als der (kommerziell) erfolgreichste und bedeutendste Dramatiker aller Zeiten. Kein Theater kommt um Romeo und Julia, Macbeth oder Hamlet herum, denn seine Figuren scheinen auch nach 400 Jahren nicht an Ruhestand zu denken.Und nun hat sich auch der Jugendclub Kometen des Theater Basels an dieses epochale Werk herangewagt. Doch bei der Fülle an Stücken und Figuren fällt eine Entscheidung natürlich schwer, mögen manche die blutrünstigen Fehden mehr, während andere die Verwirrspiele in den Komöd…