Wenn alle Männer Mädchen wären, dann wär' das Leben schön, man könnte ohne Angst zu haben, nachts spazieren geh'n, wenn alle Männer Mädchen wären, wär's paradiesisch hier, wenn alle Männer Mädchen wären, ich meine natürlich alle außer mir
Ja, es sind Die Ärzte, die das gesungen haben. Das Lied «WAMMW (Wenn alle Männer Mädchen Wären)» und deren Album «Geräusch» stürmte schon kurz nach der Veröffentlichung im Jahr 2003 die Charts und war in Deutschland schnell Nummer 1. Warum das in einer Kritik den Anfang macht? Dazu später mehr.
Kleiner Sprung. Aula, Gymnasium Leonhard, Basel. Die Bühne ist in eine Ecke im Saal aufgebaut, das Publikum sitzt auf zwei Seiten auf Tribühnen und dazwischen gibt es einen Gang. In dieser Ecke stehen zwei metallene Abfallcontainer, umgeben von verstreuten Kartons, einem Sofa und Holzpaletten.
WIR SIND SO ELEND heisst das Stück, das die Klasse 5P vom Leonhardsgymnasium Basel gemeinsam mit Regisseur Coelestin Meier erarbeitet hat. Das Stück ist eine Adaption von Camus' DER BELAGERUNGSZUSTAND, welches 1948 in Paris uraufgeführt wurde und unter dem Eindruck der Grausamkeiten, die totalitäre und menschenfeindliche Systeme (die Teilung Frankreichs und die Herrschaft des Vichy-Regimes gilt als wichtigster Bezug) verüben, entstanden ist.
Ganz grob umrissen geht es um Folgendes: Die Pest und der Tod kommen personifiziert nach einem gesichteten Kometen in die spanische Stadt Cádiz. Dort errichten sie durch maximale Rationalität und Bürokratie eine Schreckensherrschaft, in der die Liebe verboten wird, schwarze Sterne verteilt und unliebsame Menschen gelöscht werden.
Den Schüler*innen der Klasse 5P gelingt etwas, was keine Selbstverständlichkeit ist: Sie behandeln die abstrakt formulierte Kernbotschaft des Stücks - der Warnung vor Machtübernahmen von autokratischen Regimen - mit einem tiefen Verständnis des Stoffs und einer gebührenden Ernsthaftigkeit. Selbst die sonst im Jugendtheater häufige Diskrepanz zum Hochdeutsch ist kaum vorhanden - auch wenn in einigen emotionalen Momenten Mundart gepasst hätte.
In der düsteren Ausgangslage gibt es einige noch düsterere Momente - beispielsweise als die Bewohner*innen der Stadt sich in Reih und Glied aufstellen und weisse Arbeitsanzüge anziehen müssen (woran dieses Bild erinnert ist hoffentlich einleuchtend). Glücklicherweise finden auch einige fast schon tragikomische Szenen Platz: Als ein Betrunkener am Anfang über die Bühne stolpert, oder als der ehemalige Gouverneur und seine zwei Bürgermeisterinnen, die nun nur noch als Steigbügelhalter für die Pest dienen, neue Erlasse rezitativistisch als Musical-Nummer vortragen.
Dennoch bleibt bis zur Pause (ja, so etwas kommt vor in Schultheater) die dröhnende Übermacht der Pest und des Todes spürbar. Es bleibt der starke Moment kurz vor der Pause, als eine wachsende Gruppe sich über Ungerechtigkeiten beschwert und widersetzen will. Kurz danach folgt aber bereits die Ernüchterung und die Angst kehrt wieder zurück: «Wozu aufbegehren?» sprechen sie im Chor.
Die Tötungsmaschinerie funktioniert nicht mehr
Kurz nachdem das Publikum (hauptsächlich ältere Schüler*innen und manche Eltern und Lehrpersonen) wieder sitzt, ändert sich die Stimmung: Diego, ein junger Arzt macht nicht mehr mit. Er begehrt tatsächlich auf. Und auf einmal funktioniert auch die Tötungsmaschinerie der Pest - hier ein iPad mit grüner Hülle - nicht mehr, denn Diego hat im Vergleich zu den Anderen keine Angst mehr. Er wird vor die Wahl gestellt: Entweder kann er leben und lieben, oder er opfert sich, dafür wird die Stadt befreit. Er entscheidet sich für Letzteres und gewinnt so die Stadt zurück.
So endet Camus' Stück. Doch in dieser Fassung wurde durch das Stück hindurch noch eine weitere Ebene hinzugefügt: Die Verantwortung dieser Geschehnisse liegt allein bei den Männern. Auch wenn diese Erweiterung nicht immer konsequent durchgeführt wird, ist die Botschaft und der Bezug auf heute klar und passend gewählt und streift wichtige gesellschaftliche Diskurse, die auch gerne mehr thematisiert werden dürfen in Schultheatern. Denn dieses ist, wie dieses Beispiel beweist, keinesfalls unpolitisch oder ohne Aussage.
Das eingangs zitierte Ärzte-Lied bildet also einen fast schon sentimentalen Schluss - leider sind Männer eben keine Mädchen.