
Kleine Figuren ganz gross
Die kleine Holzfigur eines jungen Mädchens schwebt über einem alten Tisch. Viktor Frankenstein, der neben dem Tisch steht, ruft ihren Namen: «Elisabeth». Er erinnert sich an bessere Zeiten. An die Zeit, als er noch Kind und seine Welt in Ordnung war. Er erzählt, um der Nachwelt seine Erkenntnisse weiterzugeben. Damit diese aus seinen Fehlern lernen. Erst spielt eine Frau den reumütigen Viktor Frankenstein. Dann stellt sie aber die kleine Büste eines hübschen Jungen auf den Tisch und nimmt das Publikum mit in die Vergangenheit.
Zwischen Figurenspiel und realem Schauspiel oszilliert dieses Stück. Was gerade noch auf dem Tisch über Figuren stattgefunden hat, kann im nächsten Moment neben dem Tisch weitergeführt werden. So verabschieden sich die Figuren von Viktor Frankenstein und Elisabeth mit gewisser Distanz und im nächsten Moment küssen sich die Figurenspielenden hinter ihnen innig.
Faszinierende Rollenaufteilung
Erfrischend war auch die Aufteilung von Geschlecht und Rolle. Mehrheitlich spielte die Frau Frankenstein und mehrheitlich der Mann Elisabeth, aber je nach Situation wurden die Rollen auch einfach getauscht. Dennoch überzeugte das Spiel vollumfänglich. In der Szene in der Frankenstein Gelder für seine Forschung beantragt, spielen unzählige Büsten seine Professoren. Jede Büste hat eine andere Haltung, die von den Figurenspielenden jeweils übernommen wird. Dies führt zu einer herzerwärmenden Komik zwischen Büsten und Spielenden. Auf ähnliche Weise wird die Hochzeitsszene bespielt, nur dass dort Porzellanfiguren die Hochzeitsgäste mimen.
Unter den Puppen am bemerkenswertesten war eine kleine Version von Frankensteins Monster. Sie konnte wie eine Uhr aufgezogen werden und bewegte dann langsam die Arme auf und ab. Für die Kernszene, in der Frankensteins Monster zum Leben erwacht, wurde eine Maske mit Stoff auf den Tisch gelegt, aus der plötzlich eine Hand hervorschnellte und Viktor Frankenstein berührte. Das Publikum erschrak zusammen mit ihm. Auch die Szene, in der sich Frankenstein von der toten Elisabeth verabschiedet, wurde mit ähnlichen Mitteln mit Maske und Schleier dargestellt.
Gelungene musikalische Einbindung
Passend zu den Szenen sang eine Opernsängerin Lieder. Die musikalischen Einschübe ergänzten die Szenen hervorragend. So bildeten sie die Vorstellungsszene für Viktors Mutter, den Rahmen für die Szene in der Messe und die Szene am Grab. Zusammen mit der Klavierbegleitung erschuf der Gesang eine andächtige Stimmung, die dem emotionalen Verständnis der Szenen dienlich war. Auch die Wahl der Lieder passte durchwegs zum Inhalt des Stücks. Sowohl thematisch als auch musikalisch.
Über dem Tisch hängt eine Pergola, die immer mal wieder unerwartete Objekte freigibt. Ein Bild fährt herunter oder ein Adler fliegt darüber hinweg. Szenisch und spielerisch wundervoll umgesetzt endet die Inszenierung mit der bitte von Frankenstein an seine Nachwelt, zwar zu Forschen und Neues zu entdecken, mit diesen Entdeckungen aber human und weise umzugehen. Auf diese Art und Weise, hat die Compagnie Karyatides sich Frankenstein zu Herzen genommen und seine Geschichte liebevoll zum Leben erweckt.