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In Moby Dick von der Compagnie Plexus Polaire hauchen die lebenden Figurendarsteller:innen als Tod kostümiert, ihren toten Dingen Leben ein. Selbst das Bühnenbild weisst zu Beginn auf den Tod hin, denn ein Walgerippe steht prominent auf der Bühne. Diese Produktion eröffnet verdienterweise das Figura Theaterfestival 2022.
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© Christophe Raynaud de Lage

Perspektivische Pluralität

Die hellen Klänge von mystischer Musik durchfluten den Raum des Kurtheaters Baden. Ein glitzernder Fischschwarm tummelt sich im Bauch des Walgerippes. Nervös bewegen Sie sich hin und her. Bis sie plötzlich verschwinden. Dann tritt Ishmael auf. Der Erzähler führt das Publikum in unterschiedlicher Form durch das Stück. Zuerst tritt er als Schauspieler auf, dann als grosse Puppe, später als kleinere Puppe, aber auch als Minipuppe. Die Geschichte von Moby Dick wird auf unterschiedlichen Ebenen erzählt, die dem Publikum spannende Perspektiven auf das Geschehen ermöglichen. Eine Ebene bildet das Spiel von Nähe und die Distanz. Die extreme Nähe zum geschehen erfährt das Publikum im Schiffsinnern, wenn die übergrosse Puppe von Kapitän Ahab hasserfüllt mit seinem Schicksal hadert. Die maximale Distanz zeigt die Pequod aus der Vogelperspektive, in der sie als kleines Schiff weissen Walen nachjagt.
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© Christophe Raynaud de Lage

Zwischen Realität und Einbildung

Eine weitere sinnliche Ebene ist jene zwischen Realität und Einbildung. Inhaltlich wandelt die Figur von Kapitän Ahab auf der Grenze von Realität und Einbildung, oder besser gesagt Wahnsinn. Im Bühnenbild wird dieses Motiv durch hervorragende Lichtprojektionen veranschaulicht. Dabei lassen diese das Meer, zusammen mit der sphärischen Musik von der dreiköpfigen Liveband, erneut als mystischen Ort aufleben. Für das Publikum verschwimmt die Ebene der Unterscheidung zwischen Figurenspieler:innen und Figuren. Es bleibt unklar, wer wen bewegt und was von wem bewegt wird. Dadurch wird das Publikum auf eine Probe der Wahrnehmung gestellt. Und obwohl sehr viele Dinge bewegt werden, sie alle wirken lebensecht. Denn die energetische Umsetzung der Bewegungen der einzelnen Figuren ist bewundernswert. Sie werden in einer Präzision ausgeführt, die ihres gleichen sucht.
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© Christophe Raynaud de Lage

Verhandlung des Raums zwischen Leben und Tod

Auch die Kreativität der Umsetzung ist atemberaubend. Beispielsweise werden weisse Wale als Projektion, Prospekte oder Puppen in unterschiedlichen Grössen und Spielweisen gezeigt. Die Vermengung von Musik, klassisch aufgeführten Monologen und Figurentheater weisen eine harmonische Verknüpfung von unterschiedlichem Theater auf, wie es selten zu sehen ist. Dank der Verknüpfung eben dieser Vielfältigkeit gelingt die Verhandlung vom Raum zwischen Leben und Tod, dem Diesseits und dem Jenseits, denn zwischen Musik, Stimme und Bewegung wird eine Ebene eröffnet, die dazwischen liegt. Sie ergänzen sich zu einem Mikrokosmos, der sich selbst konstituiert und zugleich über sich hinausweist. Moby Dick ist vielmehr als nur eine Geschichte oder ein Theaterstück oder Puppen, die mit Leben erweckt werden. Moby Dick der Compagnie Plexus Polaire ist ein Ort, an dem das Dazwischen von Leben und Tod verknüpft und verhandelt wird. Sie tun dies auf meisterhafte Weise: Meisterhaft hauchen Sie Dingen Leben ein, meisterhaft erzählen sie die Geschichten, die ihre Dinge erleben und meisterhaft verhandeln sie die Fragen, die Dinge und Geschichten aufwerfen.

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