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Berührend persönlich holt Silas Neumann sein Publikum einzeln beim Eingang ab und führt sie zu ihrem Platz des Panoptikums. Wenn alle platzgenommen haben und die Kopfhörer tragen, beginnt die fesselnde Bildschau. Mit Heimat Neuhof: Panorama führt er zurück in das Dorf im heutigen Polen, aus dem seine Grossmutter 1945 fliehen musste.
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© Veenstra_Visuel

Einfluss der Vergangenheit

Durch zwei Gucklöcher sieht das Publikum Projektionen von Bildern und Videos, die immer mit einem Klingelton wechseln. Etwas ungewohnt drehen sie sich wie ein Karussell von rechts nach links im Kreis. Die Bilder und Silas Stimme erzählen von seiner Kindheit in den Niederlanden mit deutschen Wurzeln. Von der Stigmatisierung durch die Abstammung, wegen der Geschehnisse im zweiten Weltkrieg. Verständlicherweise plagen Silas Neumann Schuldgefühle. Glücklicherweise lassen sie ihn die Vergangenheit seiner Vorfahren theatralisch aufarbeiten, so dass wir diese erfahren dürfen.
Zusammen mit ihm untersucht das Publikum die Frage der Identität. Wie sehen mich die anderen? Wie sehe ich mich? Woher komme ich? Zu einem aufziehbaren Spielsoldaten hören wir von seinem Grossvater, der Leute im Wald noch immer mit Hitlergruss grüsst. Er kann nicht anders, er wuchs in einem Naziinternat auf. Spielfigur und intime Geschichte weisen eine tragische Diskrepanz auf. Klingel und Bildwechsel. Seine Grossmutter erzählt dafür von ihrer alten Heimat in Neuhof, die sie schmerzlich vermisst. Ihr Enkel verspricht ihren letzten Wunsch zu erfüllen und für sie das Dorf zu besuchen.

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© Veenstra_Visuel

Die Suche nach der Heimat

Gemeinsam mit ihm macht sich das Publikum auf den Weg. Im ersten Teil ist die Installation von unterschiedlichen Wäldern geprägt. Sie wirken wie ein undurchdringliches Dickicht und sind wahrscheinlich dem Grossvater gewidmet. Im zweiten Teil erscheinen offene Wege, die von weiten Feldern gesäumt sind. Klingel und Bildwechsel. Auf der Suche nach der Definition von Heimat erfahren wir viel über Silas Neumann selbst. Beispielsweise, was für Theaterprojekte er erschuf oder dass ein deutscher Akzent seine Abstammung verrät und seine finale Erkenntnis aus diesem Theaterprojekt:
Klingel und kein Bild. Denn für die Erkenntnis setzt er sich in der Mitte des Kaiserpanoramas auf einen Stuhl und scheint jeder Person einzeln in die Augen zu schauen. Er spricht in ein Mikrofon, wohl schon die ganze Zeit. Er hat gelernt, dass Heimat etwas Nostalgisches und etwas anderes als zu Hause ist. Die Heimat von seiner Grossmutter sieht noch fast gleich aus, wie damals als sie diese verlassen hat. Ihr Enkel erkennt sie aufgrund der Erzählungen wieder. Ein Schwarzweissfoto von zwei Frauen wird auf den Dorfsee gelegt. Die beiden Bilder aus unterschiedlichen Zeiten passen genau aufeinander. Sie verschmelzen zu einem Bild. Hier wurde das Foto aufgenommen. Die Grossmutter erzählt über die Kopfhörer davon. Die stärkste Botschaft, aus dieser Aufführung ist aber jene der Vergebung an das deutsche Volk und seine Vergangenheit. Diese findet Silas Neumann ganz unverhofft in diesem Dorf.
Heimat Neuhof: Panorama ist noch am 24.6.22 von 11.30–20.15 Uhr am Figura Theaterfestival zu sehen.

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